Geschichte

Geschichte

Wer zum ersten Mal die Stehweingesellschaft kontaktiert, dem fällt auf, dass z.B. Helmut Köcher als Obmann von den 19 Mitgliedern der Gesellschaft nicht mit „Obmann“ oder „Vorsitzender“ angesprochen wird, sondern mit „Obrist“. Eine Bezeichnung, die zugegebenermaßen etwas sonderbar klingt. Der Chronist heißt bei uns „Feldschreiber“ und die Mitglieder sind „Gesellen“. Auch einen „Weingrafen“ haben wir und gar einen „Festungskommandanten“. Und korrekt heißt es nicht „Stehwein zu Meran“, sondern „ze Meran“.

Das alles deutet auf ein gewisses Alter dieser Wein- und Männergilde hin – nämlich auf 1842. Da war Meran nur per Kutsche erreichbar, die Eisenbahn kam erst 4 Jahrzehnte später. Auch brannte noch kein elektrisches Licht in den Straßen, und das Vieh wurde immer noch bei den öffentlichen Brunnen getränkt.

Meran hatte nur 3.000 Einwohner, Unter- und Obermais je 1000 und Gratsch 200, allerdings waren alle selbständige Gemeinden. Nebenbei bemerkt, hatte Bozen 1842 auch nur knapp 10.000 Einwohner und ganz Südtirol nicht einmal 200.000.

Aber 1842 gab es in Meran schon einen recht ansehnlichen Fremdenverkehr, und auch das geistige und gesellschaftliche Leben konnte sich sehen lassen. Und musste man in Bozen noch die Auflagen und Vorgaben der 8 Seligkeiten erfüllen, um zu den echten Boznern gezählt zu werden, so gab es in Meran als Pendant die Stehweingesellschaft.

So scheinen die großen Namen der damaligen Zeit beim Stehwein auf, wie der langjährige Meraner Bürgermeister und Arzt Dr. Gottlieb Putz und Dr. Franz Tappeiner, der Arzt, dem die Meraner die berühmte Promenade verdanken.

Und eben in diesem Jahr 1842 kam ein Münchner zur Kur nach Meran, der die Passerstadt mit einer Fülle von Initiativen und Ideen zum Blühen bringen sollte: Der 28-jährige Literat und Journalist Josef Friedrich Lentner.

Er hat die Meraner Kurverwaltung mitgegründet und geleitet. Und er war Obrist der „Stehweingesellschaft ze Meran“. Die bestand nämlich schon, als Lentner nach Meran kam. “Stehwein“ deshalb, weil die Gesellen vor dem Nachhause-Gehen, sozusagen als Wegzehrung, noch einen Schoppen Wein tranken und zwar stehend.

Und als Lentner ihr beitrat, sorgte er für Ordensfeste und scherzhaft-ritterliche Spiele. Er zog z.B. mit seinen Gesellen mit großem Gepränge, also mit Trommeln und Fahnen, von Meran zum Schloss Lebenberg. Lentner verfasste auch die einmalige „Chronica von dem Geschlosse und der Vesten ze Lebenberg“.

Nach dem Tode Lentners 1852 wurde es still um die Stehweingesellschaft. Sie fiel in einen Dornröschenschlaf.

Auch der große Reiseschriftsteller Ludwig Steub, der „Entdecker Tirols“ wie er auch genannt wurde, dachte 1870 bei einem weiteren Besuch Merans etwas wehmütig an die vergangenen Jahre. Er schrieb: „Und doch vermisse ich so manches, was ich vor fünfundzwanzig Jahren hier gefunden. Die edlen Genossen des Stehweins sind zerstreut und verstorben, Friedrich Lentner, mein lieber Freund, liegt auf dem neuen Friedhof an der Passerbrücke und die schönen Frauen und Fräulein von damals haben sich auch verlaufen…“

Bis dann 1996 honorige Meraner Herren sich dieser „Meraner Seligkeit“ erinnerten und den Stehwein wieder belebten.

Und wie sieht es heute mit dem “Stehwein“ aus?

Es gibt 20 Stehwein-Gesellen (die Begrenzung haben wir uns aus organisatorischen Gründen auferlegt). Erst nach bestandener Klunzen-Probe wird man aufgenommen. Diese Probe besteht darin, mit einer 7/10-Flasche 20 Gläser in einem Durchgang so einzuschenken, dass in jedem Glas gleich viel Wein ist. Und dann noch im Erkennen dreier Weine in Blindverkostung.

Wir treffen uns an jedem 1. Dienstag des Monats in unserem schönen, nach uns benannten Stehweinzimmer auf Schloss Pienzenau.

Heute ist es so, dass wir zu Beginn der Sitzungen „stehenden Fußes“ ein Glas trinken und dann gemütlich Platz nehmen. Bei normalen Sitzungen tragen wir den blauen Stehwein-Schurz, bei festlichen Anlässen den weißen.

Wir unternehmen kulturelle und den Wein tangierende Ausflüge: in die Toskana, nach Friaul, in die Stiftsbibliothek von Neustift, zum Pacheraltar nach Gries, in die Turmstube der Pfarrkirche von Mals, zum besonderen Museum des Bürgermeisters von Marling und zu diversen Kellereien, um nur einige der Ausflüge zu nennen oder Ausritte wie es korrekter für diese ritterlich angehauchte Gesellschaft heißen sollte.

Ein Mitglied ist P. Urban Stillhard vom Kloster Muri Gries: Er ist ein weinkundiger Stehwein-Geselle und wacht als geistlicher Beistand über unser Seelenheil.

Und auf Schloss Trauttmansdorff ist es uns auch erlaubt, Gast zu sein in der Weinberghütte, die – es ist für alle Zeiten in Stein gemeißelt – dem Stehwein gewidmet ist.

Wie sie sehen, erfreut sich der Stehwein nach über 170 Jahren bester Gesundheit. Und weiteren 170 Jahren steht nichts mehr im Wege.

Rudi Gamper